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Medienbildung setzt auf Empowerment anstelle wenig wirksamer Warnhinweise

Derzeit gibt es eine öffentliche Diskussion über den negativen Einfluss eines verzerrten Schönheitsideales auf das Körperbewusstsein Jugendlicher, das durch stark nachbearbeitete Werbebilder transportiert wird. Dazu hat Frauenministerin Heinisch-Hosek den Vorschlag einer Kennzeichnung bearbeiteter Bilder durch „Warnhinweise“ in Form farbiger Punkte eingebracht. Wir als VertreterInnen der Initiative „Medienbildung JETZT!“ halten das Thema für sehr relevant und aktuell, sehen aber eine Kennzeichnung nicht als geeignete Maßnahme an.

Unserer Ansicht nach ist das Bewusstsein für die Inszeniertheit ALLER Medienerzeugnisse die entscheidende Grundlage für einen bewussten, kritischen (im Sinne von hinterfragenden) Blick auf die Medienwelt. Eine Kennzeichnung würde nur einen Teil der Inszenierung hervorheben. Schon ein unbearbeitetes Foto ist inszeniert, durch die Wahl des Bildausschnittes, durch den Kontext, durch das Publikationsmedium, durch den Kommentar und vieles mehr. Ebenso steht es mit scheinbar objektiven Nachrichten: auch diese sind nach verschiedenen Kriterien ausgewählt und gefiltert. Aber auch Menschen als Medien wollen Inhalte vermitteln und inszenieren sich, stellen sich selbst dar im Kontakt mit anderen. Für Kinder und Jugendliche, die sich im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Individualität auf der Suche nach einer komplexen eigenen Identität befinden, ist die Selbstpräsentation besonders wichtig.

Eine weitere Forderung von Ministerin Heinisch-Hosek, Werbebilder möglichst früh in Bildungseinrichtungen zu thematisieren, unterstützen wir daher nachdrücklich; und wir möchten diesen Vorschlag noch erweitern: alle Medien, vorzugsweise jene, die Kinder der jeweiligen Altersgruppe täglich nutzen, sollten in Bildungseinrichtungen Thema sein. Von Bildern, Büchern, Musik bis hin zu Fernsehen, Filmen, Comics, Videospielen etc.
Am besten wird das Bewusstsein für die Inszeniertheit der Medien durch praktische Medienarbeit gefördert. Indem man Kindern und Jugendlichen die Methoden und Werkzeuge in die Hand gibt, eigene Medienerzeugnisse zu produzieren, gibt man ihnen die Möglichkeit zu erfahren, wie die Konstruktion medialer Inhalte funktioniert und wie sie auf Publikum wirken. Sie erlernen durch eigene Erfahrung, Medien (und deren Inhalte) analytisch zu betrachten. Diese selbst erworbene Medienbildung ist wertvoller und nachhaltiger als reine Warnhinweise, da sie nicht nur auf einen kleinen Bereich der Werbung beschränkt, sondern auf alle Medien und Kommunikationsformen anwendbar ist. Die Ausbildung eigener Urteilsfähigkeit im Sinne von Empowerment ist ein nachhaltiger Weg Kinder- und Jugendliche in ihrem Körper- und Selbstbewusstsein zu stärken.

Daher schlagen wir vor, keine Ressourcen in ein eng gefasstes System von Warnhinweisen zu investieren, sondern vielmehr Projekte der praktischen Medienbildung zu fördern.

Anhang: Praxisbeispiele

Das Projekt „Vorher-Nachher“
durchgeführt von dem Team und den jugendlichen BesucherInnen des Jugendzentrums 5erHaus

Im Rahmen der Bezirksfestwochen 2011 kam es in Kooperation mit dem Polycollege Stöbergasse erstmals zur Durchführung des Projektes „Vorher- Nachher„. Die Ausgangsposition war, Jugendlichen einen Blick hinter die Kulissen eines professionellen Fotoshootings (inkl. Licht, Styling, Maske) zu ermöglichen, um sie für Themen wie Körperwahrnehmung, Körperschemata und Schönheitsideale zu sensibilisieren. Zielgruppe waren JugendzentrumbesucherInnen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren. Ca. 40 Jugendliche haben mitgemacht.

Im Juni 2012 ist – wieder im Rahmen der Bezirksfestwochen und mit Polycollege-Unterstützung – eine weitere Aktion durchgeführt worden. Zwei Profifotografen mit professionellem Studioequipment haben die Jugendlichen (diesmal haben fast 70 teilgenommen) zuerst möglichst naturgetreu und „unverfälscht“ fotografiert. Diese Vorher-Bilder wurden gleich ausgedruckt und für Diskussion und Vergleich mit den Nachher-Fotos aufbewahrt.

Die Jugendlichen wurden dann, von einer Visagistin geschminkt und manche mit sehr aufwendiger Maske gestylt, in einer optimal ausgeleuchteten Studiosituation erneut fotografiert. Diese Nachher-Fotos haben „Wow!“ Schreie und „Ich erkenne mich nicht wieder!“ ausgelöst.

In dieser Phase des Projektes ist das Interesse der Jugendlichen, noch weiter zu gehen, klar geweckt worden, sodass bereits Termine im Herbst für die weitere Bildbearbeitung vereinbart sind. Geplant ist Photoshop-Bearbeitung (Retusche, Licht, Filter, Hintergrund), Tipps und Tricks von Pickelentfernung bis zu virtuellem Lidschatten und Lipgloss sowie Figurveränderung.

Dazu Präsentation von Videos, Clips und Fotos, die Modeagenturen und Magazine im Internet zur Verfügung gestellt haben, die teilweise zeigen, was wie in der Retusche gemacht wird, sowie Tutorials, was machbar ist.
Ziel ist, mit den Jugendlichen das Verhältnis zwischen Realität und medialer Darstellung zu thematisieren. Diese vergleichende Vorgehensweise sollte zu Reflexion und Selbstreflexion führen.

Offenes Fotostudio im wienXtra-medienzentrum

Das wienxtra-medienzentrum, eine auf Medienarbeit spezialisierte Einrichtung der Wiener Jugendarbeit, bietet Jugendlichen kostenlos die Möglichkeit, ein Fotostudio mit Hintergründen, einer Blitzanlage und professionellen Kameras zu nutzen. Nach einer kurzen Einführung übernehmen die Jugendlichen das Studio und arbeiten völlig selbstständig. Meist sind es Gruppen von FreundInnen, die einen Abend im Studio verbringen, laut ihre Lieblingsmusik spielen und mehrere hunderte Fotos voneinander schießen.

Ein zentraler Bestandteil der Identitätsarbeit Jugendlicher sind Identitätsexperimente. Wer bin ich, wer möchte ich sein, wie wirke ich auf andere? Das Fotostudio fungiert als ein Experimentierraum, wo die Jugendlichen in vertrautem Kreis, frei von fremden, bewertenden Blicken, verschiedene Fassetten von sich erproben können. Selbstverständlich wird dabei auch auf Schönheitsideale und mediale Vorbilder Bezug genommen. Mal ernst, mal ironisch werfen sich die Jugendlichen in Posen, die sie aus Castingshows & co kennen – aber sie entwickeln auch ganz neue Inszenierungen. Die enorme Bilderfülle bewirkt quasi automatisch ein Gespräch über Bildwirkung. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem solchen Setting Bilder entstehen, die den Jugendlichen selbst wirklich gefallen, ist groß – und zwar nicht weil die Bilder den Normen entsprechen, sondern weil der/die Abgebildete das Gefühl hat, auf diesen Aufnahmen er/sie selbst zu sein.